Caty Forden

- StadtGlück

StadtGlück Caty Forden mit Frauke Bohge Kunsthalle Brennabor 2020

Vorwort Katalog von Christian Kneisel

Stadt: aus kulturwissenschaftlicher Perspektive eine Kulturraumverdichtung, aus soziologi- scher eine dicht besiedelte Gemeinde mit klaren staats-, kommunalrechtlichen Regeln, eigener Versorgungs- und Verwaltungsstruktur, Markthoheit und Regierung, vielfältigen Ritualen, noch mehr Kulturen, unfassbar vielen Farben, polyphonen Gerüchen, sozial stark differenzier- ter Einwohnerschaft. So weit, so klar. Aber Stadt und Glück? StadtGlück? Was geht ab und gut (aus) in Stadt? Ist die „Göttin, ... Hure ..., Mutter Großstadt“ (Wolfgang Borchert) doch die Verheißende, Bringende oder jeder Einzelne seines Glückes Schmied? „In die große Stadt zurück. Und dort wird er sagen: Nur im Ruhelosen ruht das Glück.“ (J. Ringelnatz) Das ver- spricht das erfolgreichste Gesellschaftsspiel aller Zeiten schon lange. Nur reduziert Monopoly urbane Glücksverheißungen auf massentaugliche Regeln rüder Geldvermehrung und deftiger Verdrängungsgelüste. Das macht lausigen Spaß und bereitet diebische Freude. Zwei Künstle- rinnen spielen da nicht mehr mit. Behaupten, Glück & Stadt geht anders. Schauen weit über blassgrüne Spielfeldränder. Durchstreifen „bei Tag und bei Nacht“ urbane Wirklichkeiten. Lokalisieren deren Dörfer, Kieze, Sozio- und Biotope. Entdecken Besonderes und Gemeines, Aktuelles und (vermeintlich) Vergangenes, Verbindendes und Trennendes. Zurzeit sind die beiden Frauen in Berlin unterwegs - Frauke Bohge, ihre Erkundungen zwischen Paris, Stock- holm und Brandenburg an der Havel kurz unterbrechend, seit Kindertagen zum x-ten Mal, Caty Forden, ihr prägendes Nest Washington D.C. und toskanische Disney-Lookalikes vorerst abgehakt, seit einigen Jahren durchgehend. „In die Großstadt flieht der Geist,/Wo im Kampf der Mengen/Er zerreißt./Dort, wo Puls und Uhr/ Schneller ticken,/Wird er sich zusammenflicken,/Wenn er's erst versteht,/Dass die unbe- zwingliche Natur/Auch auf Radiowellen, Schienenspur/Und Propellerschwingen weitergeht.“ Das haben allerdings Turmfalken, wilde Schweine und Familie Biber lange vor Joachim Rin- gelnatz erkannt. Dass Fuchs und Hase sich auch links hinterm Funkturm eine gute Nacht wünschen, in Büschen neben dem Fernsehturm ein Bambi döst, ist für Stadtpflanze und gele- gentliche Nachteule Bohge faszinierend und des Festhaltens wert, das Obduzieren der Deut- schen Oper oder Neuen Schönhauser, die Transformation Wilmersdorfer Witwen, die Verfär- bung der Stadtreinigung bester Pionierauftrag und spielerisches, immer meisterlich umgesetz- tes Anliegen. „Gibst du mir Steine, geb ich dir Sand, ... gibst du mir Wasser, rühr ich den Kalk, ... wir bauen eine neue Stadt“ Die beste Band Palais Schaumburg beließ es 1981 beim Träumen, erst die nachgeborene Frauke Bohge hat feste zugepackt, durchgemischt und ange- rührt, inzwischen Entwürfe für neue Gemeinwesen geschaffen, bestehende genauestens se- ziert. Stets startet sie als farbenbewusste Beobachterin, formvollendete Chronistin, hält sich aber nie lange mit dem Einfangen und Analysieren auf: „Ich liebe dich bei Nebel und bei Nacht, wenn deine Linien ineinander schwimmen, - zumal bei Nacht, wenn deine Fenster glimmen und Menschheit dein Gestein lebendig macht. Was wüst am Tag, wird rätselvoll im Dunkel; wie Seelenburgen stehn sie mystisch da, die Häuserreihn, mit ihrem Lichtgefunkel; und Einheit ahnt, wer sonst nur Vielheit sah. Der letzte Glanz erlischt in blinden Scheiben; in seine Schachteln liegt ein Spiel geräumt; gebändigt ruht ein ungestümes Treiben, und heilig wird, was so voll Schicksal träumt.“ Christian Morgenstern muss Frau Bohge irgendwie ge- kannt haben. Wie konnte er vor mehr als hundert Jahren derart punktgenau deren Komposi- tionen beschreiben, wissen, wie sie Stadtlandschaften verschwimmen lässt, das Unscharfe be- vorzugt, um Struktur zu schaffen, dem Dunkel feinsten Zauber abgewinnt, letzten Glanz zum Strahlen bringt? Und wie sie lächelnd träumen kann: Von Pensionären, die gestern das schu- fen, was wir heute zu beleben haben. Von Kindern, die morgen das verändern werden, was uns heute lieb und teuer ist. Vom Regen, der Berlins & Brandenburgs Gewässer erfrischt, da- mit wir uns trotz blinder Scheiben spiegeln, zu anderen Ufern aufbrechen können. „Wir in Berlin sind überall dabei, aber wir kommen zu nichts. Wir haben französischen Chic, engli- schen Sport, amerikanisches Tempo und heimische Hast - nur uns selbst haben wir nie ge- kannt.“ Lieber Kurt Tucholsky, diese Sorge muss uns nicht länger quälen. Frauke Bohge, die das, was war, ist, sein könnte, sehr genau sieht (also weiß), dann mit fein gemischten Farben auf Tuch und Papier bannt, hier verfremdet, dort übersetzt, letztlich ihre ganz eigene, von uns mühelos zu verstehende oder lustvoll zu entschlüsselnde Sprache entwickelt hat, ist bei uns und kann, obwohl das eventuell nie ihre Absicht war, eindeutige Fragen stellen, die uns end- lich in heitere Aufregung versetzen und zu präzisen Antworten nötigen. Die Künstlerin ist wagemutig und wie ver-rückt auf der Suche. Das ist viel des Guten. „Um eines BILDES willen, muss man viele Städte sehen!“ (Rainer Maria Rilke, leicht verän- dert). Caty Forden hat es immer wieder getan: Städte erforscht, er- und durchlebt – hinterm großen Teich, in bella Italia, mitten in Germania, immer als neuan- bzw. wiederkommende Außenseiterin, als präzise Beobachterin, die schon früh feststellen konnte, dass jeder Stadt eine ganz eigene Farbenpracht und –eintönigkeit innewohnt. Ihre Mühen, sich in dieser wie in jener Stadt zurecht- und wiederzufinden, wurden stets belohnt. Schnell gelang es ihr, ein Ge- fühl für die Einzigartigkeit eines Gebäudes, Straßenzuges, einer Fensterfront, eines Daches, eines Balkons, einer Küche zu entwickeln, im aktuell Vorgefundenen Gelebtes und Vergange- nes zu entdecken und mit kühl-warmer Leidenschaft einzufangen, festzuhalten, in angemes- sener Struktur und Form zu interpretieren, das große Ganze im Blick zu behalten, kein Detail zu übersehen. Das Gelichte und Verschattete untersucht Caty Forden genauestens: „Das Licht/ und die rationellen Formen/liegen im Kampf,/das Licht bringt sie in Bewegung,/biegt gerade/ ovalisiert parallele,/dreht Kreise in die Zwischenräume,/macht den Zwischenraum aktiv“, er- zeugt „unerschöpfliche Mannigfaltigkeit.“ (Paul Klee) Die wie das längst Verflossene werden – kein Widerspruch! – erst dann sichtbar, wenn es (wie) leergefegt, für einen Moment (fast) befreit von Mensch und Tier ist. Ist es das? Die Künstlerin fängt im Innen- wie Außenraum durchgehend Menschenwerk ein, damit Selbstverwirklichungen wie Zumutungen von Bau- meistern und Stadtgärtnern, Selbstbehauptungen wie Glückssuchen oder Leidensgeschichten von Insassen und Nutzern. Kein Mensch ist zu sehen, aber an jeder Ecke, in jeder Bude omni- präsent. Gerade deswegen verschafft Caty Forden dem Betrachter ihrer einzigartigen Bild- kunst mehr als großzügig Raum und Anregung, sich in jeder Szene selbst unterzubringen, in jedem Bild kräftig mitzumischen, Akteur, Spielball und Mittäter zu werden. Erst dieser Dialog vollendet jedes einzelne Werk. „Städte haben/Augen/und sind wie/Katzen/in der Nacht./Men- schen/sind wie Mäuse/bis dass/der Tag erwacht.“ (Manfred Schröder). Die linearen Struktu- ren und komplexen Geometrien, die die Künstlerin offensichtlich mit leichter Hand auf die Leinwand bringt, sind von Architekten und Städtebauern vorgegeben bzw. angetriggert wor- den, können von Ein- und Bewohnern erst zum Atmen gebracht, mit Energien belebt, ver- wandelt, konterkariert werden. Bei Licht besehen schafft der Himmel über Berlin (Chicago, Genua, ...) aber erst die Dimension, die es braucht, um die erdgebundenen Strukturen, damit das Mit- und Gegeneinander, mittel- und unmittelbare Kommunikationen und Abhängigkeiten greifen und einordnen zu können. Auch deshalb hat Caty Forden Himmlisches immer im Blick und auf der Leinwand, selbst wenn er in einem Bild eines Innenraums nicht unmittelbar zu sehen ist. „Ick möcht mal mitn Finga inn Himmel pieken/Ob det wohl jeht?/Ick kann vonne Wiese nach oben kieken/Und sehn, wie ne Wolke zerjeht./Denn is doch det Blaue janz nah –/ Aba ick war noch nie da“ (Gisela Steineckert). „Ich liebe Berlin, aber m.b.H.“ (also „mit be- schränkter Haftung“), schreibt Brecht Anfang der 20er Jahre, denn „der Schwindel Berlin un- terscheidet sich von allen andern Schwindeln durch seine schamlose Großartigkeit“. Der weitgereisten und weltgewandten Künstlerin dürfte diese sehr spezielle Liebeserklärung ge- fallen – auch wenn ihre gemalten Liebesschwüre an Stadt, Stadt und Stadt kaum zu übertref- fen sind. Die Ausstellung „StadtGlück“, die unvergleichlichen Werke von Frauke Bohge und Caty For- den beweisen: Stadt(ver)führungen sind ab sofort nur noch mit Frauen möglich, schließlich will man nicht nur das Tollkühne, Imposante, Geschäftige erleben, sondern das Leise und Vorsichtige, das Bedeutsame und Behutsame, das Vergessene und Durchdringende erspüren - sich die ganze Stadt nah kommen lassen.